Wie Eulenspiegel in einem Bienenkorb schlief
Einmal, als Eulenspiegel in ein Dorf zur Kirchweih ging, trank er so viel, dass er schon um die Mittagszeit ganz betrunken wurde. Vor Trunkenheit müde, suchte er einen sicheren und ruhigen Ort, an dem er friedlich schlafen könne. Dabei fand er auf einem Hinterhof einen Haufen Bienenkörbe und viele leere Immenstöcke. Die schienen ihm als Schlafplatz bestens geeignet und so kroch er in einen der leeren Körbe und schlief ein.
Mitten in der Nacht kamen zwei Diebe, die es auf die Bienenkörbe voll mit Honig abgesehen hatten. Um sich für einen Bienenkorb zu entscheiden, sprach einer: "Lass uns den schwersten nehmen! Der wird am meisten Honig beinhalten!". Also hoben sie alle Körbe und Stöcke nacheinander an, bis sie zu dem Korb kamen, in dem Eulenspiegel lag. Dieser Korb war der schwerste von allen. Da sprachen die Diebe fröhlich: "Dieser Korb ist der schwerste, den wollen wir mitnehmen!" Und so griffen sie den Korb nichts ahnend und trugen ihn davon. Weil der Korb so schwer war, lief einer voran und hielt den Korb mit den Händen am Rücken und der andere folgte, ebenfalls mit beiden Händen am Korb.
Eulenspiegel aber war bereits wach geworden und hatte ihre Pläne mit angehört. Draußen war es nun vollkommen dunkel, so dass man nichts sehen konnte. Die beiden Diebe konnten einander selber kaum erkennen. Eulenspiegel aber wusste diese Dunkelheit zu nutzen! Leise und unbemerkt öffnete er den Deckel des Korbes und riss dem vorderen Dieb kräftig an den Haaren. Dieser wurde augenblicklich wütend und beschuldigte den hinteren Dieb. "Au!", schrie er laut und beschimpfte den anderen. Der hintere Dieb jedoch rief verärgert: "Du träumst wohl oder schlafwandelst! Wie soll ich dich an den Haaren ziehen, wenn ich doch mit beiden Händen den Korb halten muss?!"
Eulenspiegel aber lachte leise. Er dachte: "Dieses Spiel gefällt mir! Das möchte ich eine Weile weiter spielen!" Und so wartete er, bis sie ungefähr eine weitere Ackerlänge gelaufen waren. Dann streckte er seine Hände wieder aus dem Korb und riss dem hinteren Dieb an den Haaren. Dieser verzog vor lauter Schmerz sein Gesicht und wurde ganz zornig. Sofort schrie er den Vordermann an: "Ich laufe und trage schwer und dann muss ich mir auch noch anhören, ich hätte dich am Haar gezogen! Dabei ziehst du mir am Haar, dass mir der Hals kracht!" Daraufhin wurde auch der Vordermann wieder wütend. "Lüg doch nicht!", rief er erbost. "Wie soll ich dir, wenn du in meinem Rücken bist, an den Haaren ziehen?! Ich kann ja da vorne den Weg kaum sehen! Du aber hast mir wirklich an den Haaren gezogen! Das weiß ich genau!"
Und so zankten sie weiter, während sie den schweren Bienenkorb trugen. Sie stritten unaufhörlich und beschimpften sich. Eulenspiegel wartete noch einmal kurz, bis das Zanken größer wurde. Dann zog er dem vorderen Dieb abermals am Haar. Dieses Mal aber zog er so kräftig, dass sein Kopf heftig gegen den Bienenkorb schlug. Das machte den Dieb so wütend, dass er den Korb fallen ließ. Er wollte auf den anderen schlagen und begann wild und blindlings mit den Fäusten zu fuchteln. Der andere Mann bemerkte dies und ließ den Korb ebenfalls fallen. Sofort stürzte er sich auf den vorderen Dieb. Dabei gerieten beide Diebe ins taumeln und stürzten und purzelten übereinander. Sie zankten noch lange weiter, verloren sich aber in der Dunkelheit. Den Immenstock jedoch hatten sie liegen lassen. Nachdem sich ihre Schritte ganz entfernt hatten, öffnete Eulenspiegel den Deckel und schaute hinaus. Doch weil es immer noch finsterste Nacht war, blieb er im Korb liegen und schlief friedlich weiter, bis der Tag anbrach.
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